Heute ist der 200. Tag meines Auslandsjahres.
Heute vor 200 Tagen bin ich ins Flugzeug gestiegen, ohne wirklich zu wissen, was mich erwartet. Ich bin davon ausgegangen, das ganze Jahr bei einer Familie zu verbringen, an einem Ort zu wohnen und dort zur Schule zu gehen.
Jetzt ist ja alles aber ganz anders gekommen, wie ich bereits in den vorigen Blogbeiträgen geschrieben habe.
Ich möchte in diesem Beitrag meine Zeit in Costa Rica reflektieren und euch ein bisschen über meine persönliche Entwicklung und meine Fortschritte erzählen.
Ich bin jetzt fünf Mal zu – für mich völlig fremden – Menschen ins Auto gestiegen, ohne zu wissen, was mich erwartet und wen ich da eigentlich vor mir habe. Zuerst meine erste Gastfamilie, dann Karla, dann eine Nachbarin von Analia, die mich zu Analia gebracht hat, dann Xinia, die Leiterin vom Ecocentro Danaus und zuletzt der Sohn meiner letzten Gastfamilie in Monteverde.
Ich habe fünf Mal komplett von Neuem anfangen müssen, fünf Mal meine Schüchternheit überwinden müssen (ich kann ziemlich schüchtern sein…) und fünf Mal neue Freundschaften geschlossen.
Jedes Mal war es schwierig für mich, den Ort, an dem ich gewohnt habe zurückzulassen und nochmal von vorne zu beginnen. Gleichzeitig habe ich aber auch neue Erfahrungen gesammelt, neue Menschen kennengelernt und neue Erlebnisse gehabt.
Und ich kann eins sagen: Es hat sich gelohnt! Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt, wunderschöne Landschaften und beeindruckende Wälder gesehen, tolle Tiere fotografiert, leckere Essen probiert und vieles mehr. Und es fällt mir inzwischen deutlich leichter neu anzufangen, Leute anzusprechen, egal, ob das, was ich da jetzt auf Spanisch sage hundertprozentig richtig ist oder nicht. Ich habe oft meine Komfortzone überschritten und neues gewagt und ich bin zufrieden mit den Entscheidungen die ich getroffen habe. Insbesondere damit, dass ich dieses Jahr hier in Costa Rica nicht nur bei einer Gastfamilie wohne und zur Schule gehe (bzw. virtuellen Unterricht habe) sondern, dass ich reise und Praktika und Freiwilligenprojekte mache.
Ich habe hier plötzlich so viel Zeit, wie ich in Deutschland noch nie hatte, einfach, weil ich jetzt eben nicht mehr zur Schule gehe (und auch die Costa-Ricanische Schule hat deutlich weniger Zeit beansprucht). Also war ich das erste Mal in meinem Leben wirklich mit Langeweile konfrontiert. Weil ich aber zu den Menschen gehöre, die immer was machen müssen und sich nicht nur einfach so auf die Couch vor den Fernseher setzten können, habe ich jede Menge neues ausprobiert, gelernt und neue Hobbys gefunden!
Mein Opa mütterlicherseits konnte, und meine Oma väterlicherseits kann in Stenografie, also Kurzschrift, schreiben. Das hat mich schon immer schwer beeindruckt und ich fand die Idee in Sprechgeschwindigkeit eine Art Geheimschrift schreiben zu können immer faszinierend, deshalb habe ich meine Oma mal gebeten mir Übungshefte von ihr zu geben. Die lagen dann ein paar Jahre unbenutzt bei rum, aus Mangel an Zeit oder ich weiß auch nicht so genau warum… Die Übungshefte habe ich jedenfalls mitgebracht nach Costa Rica und habe fast jeden Tag fleißig geübt und bin inzwischen bei der dritten Stufe der Stenografie angekommen. (:
Außerdem habe ich gelernt, wie man verschiedene Zauberwürfel/ Rubik‘s Cubes löst, wie ich schon vorher mal geschrieben habe. Ich habe gelernt viele Gerichte zu kochen, sowohl deutsche, als auch Costa-Ricanische und ich spreche inzwischen fließend Spanisch.
Ich habe mir angewöhnt regelmäßig Sport zu machen und mich nicht mehr wie früher warm, sondern jetzt kalt zu duschen (was viele Vorteile hat: es geht schneller, man spart Wasser, man leistet einen kleinen Beitrag für die Umwelt, es regt die Durchblutung an …).
Aber ich glaube, das Wichtigste was ich gelernt habe, ist, das was ich habe, wertzuschätzen. Ich habe auch schon vorher vieles wertgeschätzt, aber wenn man etwas eine Zeit lang nicht hat oder weniger hat als normalerweise, dann wird einem erst so richtig bewusst, wie viel Glück man eigentlich hat es zu haben. Ein Beispiel: Man weiß erst, wie schön es ist keine Zahnschmerzen zu haben, wenn man Zahnschmerzen hat, falls ihr versteht was ich meine. (;
Das kann man auf alles Mögliche beziehen, von Familie, Gesundheit, Freiheit, Essen etc. über Autonomie, bis hin zu Wärme und Liebe.
Ich glaube, dass ich das alles und vieles mehr jetzt noch viel mehr wertschätzen und genießen kann, als früher.